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Angst vor Kürzung bei der Tagespflege - April

Sie verlaufen sich, essen und trinken den ganzen Tag nichts, tun sich weh. Vor allem, wenn alte Menschen dement werden, können ihre Angehörigen sie kaum noch allein daheim lassen. Was aber, wenn Tochter oder Sohn zur Arbeit müssen? Oft brauchen die Senioren ja nicht nur Pflege, sondern auch eine Aufsichtsperson. Damit Mama oder Papa trotzdem weiterhin zuhause leben können, gibt es Hilfsangebote wie die Tagespflege. Dafür steht ein Tagespflegebudget zur Verfügung – das nun aber vom Gesundheitsministerium gekürzt werden soll. Die angedrohte Halbierung stößt nicht nur den Pflegediensten sauer auf.

"Angehörige leisten einen bedeutenden Anteil"

"Eigentlich ist die Tagespflege wie ein Kindergarten für betagte Menschen", sagt Bettina Plettl, Inhaberin eines Pflegedienstes und einer Tagespflege in Bad Birnbach und stellvertretende Vorsitzende beim Bundesverband privater Anbieter Bayern (bpa). Seit 23 Jahren bietet sie einen ambulanten Pflegedienst an, seit dreieinhalb Jahren auch Tagespflege. "Ich habe in dieses System investiert, weil es eine gute Sache für die Leute und eine tolle Ergänzung zum ambulanten Dienst ist", sagt sie. 

Umso schockierter waren Bettina Plettl und ihre Berufskollegen, als sie auf das Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums aufmerksam wurden. "Pflegeversicherung neu denken" ist es überschrieben und enthält Vorschläge zur Pflegereform 2021. "Die Angehörigen leisten einen bedeutsamen Anteil der Pflege. Damit auch in Zukunft viele von ihnen weiter unterstützen können, braucht es neben der Anerkennung dieses großartigen Einsatzes eine Anhebung der Leistungsbeträge". Die Pflege zuhause solle gestärkt werden, heißt es darin. Dann aber folgt in dem Papier der Punkt "Fehlanreize im Versorgungssystem beseitigen".

In der Kritik stehen laut Eckpunktepapier Betreiber, die ambulante Pflege, betreutes Wohnen, Tagespflege und Wohngemeinschaften kombinieren. "Die Attraktivität für Anbieter solcher Modelle ergibt sich häufig aus der Kombination aller im ambulanten Bereich möglichen Leistungen in einem vermeintlich stationären Pflegesetting, ohne jedoch Anforderungen eines klassischen Pflegeheims erfüllen zu müssen." Für ältere Menschen, die solche Wohnformen wählen, sei das trügerisch, sobald sie mehr Unterstützung bräuchten, heißt es in dem Eckpunktpapier. Das Fazit dort: "Um die Nutzung solcher Versorgungsformen nicht unangemessen zu privilegieren, sollen bei Inanspruchnahme von ambulanten Pflegesach- und/oder Geldleistungen die Leistungen der Tagespflege ab dem 1. Juli 2022 auf 50 Prozent begrenzt werden."

"Das ist keine Reform, sondern eine reine Leistungskürzung", sagt Bettina Plettl. "Das ist ein ganz großer Rückschritt in unserem System, denn die Tagespflege ist ein wichtiger Baustein in der Pflege."

Ebenso kritisch sieht das Sebastian Zebhauser. Der Geschäftsführer und Pflegedienstleiter der gleichnamigen Einrichtung bietet seit 30 Jahren einen Pflegedienst in Julbach an, seit vier Jahren auch Tagespflege. Er las sich das Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums aufmerksam durch und fand es auf den ersten Blick nicht wirklich durchdacht. Ambulant vor stationär – ein wichtiger Leitsatz der deutschen Gesundheitspolitik. Laut Zebhauser hebelt man diese Devise mit dem vorliegenden Papier jedoch aus. "Ambulant macht man hier gar nichts."

Der Pflegedienst Zebhauser hat Senioren mit Pflegestufe 2 in der Tagesbetreuung. Diese hätten zwar noch keinen so großen Bedarf, seien aber laut dem Pflegedienstleiter schon knapp an Grad 3 und benötigen eine tägliche Versorgung. Da läge die Eigenbeteiligung bei 600 Euro. Zebhauser zufolge gebe es im Papier keine Begrenzung. "Die Ambulantversicherten werden auf jeden Fall schlechter gestellt", so sein Resümee.

Auch Verhinderungspflege könnte betroffen sein

Was Zebhauser auch zu Bedenken gibt, sind die Einschränkungen in der Verhinderungspflege, also wenn die pflegenden Angehörigen eine Auszeit bzw. eine Vertretung brauchen. Die stundenweise Inanspruchnahme soll hier künftig auf 40 Prozent reduziert werden. Wenn aus 46 Stunden ca. 18 im Jahr werden, wäre man dadurch natürlich eingeschränkt. Monatlich hätte man dann nicht mehr vier, sondern lediglich anderthalb Stunden zur Verfügung. 

Fehlanreize beseitigen und Versorgung effizienter gestalten lautet ein Aspekt im Eckpunktepapier. Fehlanreize würde es laut Sebastian Zebhauser in jedem System geben. Generell zu sagen, jedem, der ambulante Pflege in Anspruch nimmt, kürzt man die Tagespflege um 50 Prozent, wäre nicht richtig. Für die Beteiligten würde das bedeuten: entweder die Anzahl der Besuchstage reduzieren oder der Eigenanteil steigt.

Ob das wirtschaftlich ist, kann Zebhauser nicht sagen. Er erklärt es konkreter an einem Fallbeispiel: Jemand, der mit Pflegegrad 2 zweimal wöchentlich den Pflegedienst in Julbach in Anspruch nimmt, würde statt 280 Euro künftig 627 Euro Eigenanteil zahlen. "Das wären zweieinhalb Mal so viel und noch einmal eine Benachteiligung, obwohl es im Gesetz heißt: Ambulant vor stationär."

Eine reine Leistungskürzung ist das Eckpunktepapier nicht, findet Sebastian Zebhauser. In einigen Bereichen, wie dem Eigenanteil, werde schon etwas unternommen. Bei einigen Punkten würde sich Zebhauser allerdings wünschen, dass diese noch einmal überarbeitet würden. Gerade, was die Tages- und Verhinderungspflege anbelangt.

Seit einigen Jahren war schon die Rede, alles zu reformieren. "Bis jetzt haben sich die ganzen Reformen aber nur als Reförmchen herauskristallisiert." Für eine richtige Reform müsste man es anders anpacken, findet Zebhauser. Man müsste die Kranken- und Pflegeversicherung wieder zusammenlegen. Ein großer Kritikpunkt, dass sich der eine immer zu Lasten des anderen weigert. Der eine sagt, es ist eigentlich die Leistung der Krankenversicherung, der andere sagt, es ist die Leistung der Pflegeversicherung. Für die Beteiligten mache man es auf jeden Fall massiv schwerer.

Summa summarum: Mit der Reform würde man sich auf diese Weise definitiv keinen Gefallen tun. Im Normalfall nehmen laut Zebhauser etwa 70 Personen das Angebot zur Tagespflege bei ihm wahr. Theoretisch hätte man 25 Tagespflegeplätze pro Tag zur Verfügung. In Corona-Zeiten waren es zu Anfang gerade einmal zehn. Mittlerweile hätte man wieder ungefähr 44 im Haus. Zwei Drittel sind derzeit im Pflegedienst belegt. "Man merkt, dass die Kundschaften geimpft sind und die Angst vor einer Ansteckung langsam wieder zurückgeht", so Zebhauser. Auch die Nachfragen würden sich wieder häufen.

Bis dato hatte er im Hinblick auf das Eckpunktepapier noch keine Rückmeldungen von Betroffenen im näheren Raum erhalten, so Zebhauser. Bei den Mitarbeitern der Tagespflege allerdings herrsche bereits Angst vor einer Kürzung. "Die haben schon Bedenken, wie es ab 2022 im Hinblick auf die Auslastung weitergehen soll." Für Julbach würde dies bedeuten, weniger Tagespflegegäste, die wöchentlich mehrere Tage in Anspruch nehmen.

"Für diejenigen, die nur einen Tag in Anspruch nehmen, ist eine 50-Prozentkürzung kein Thema", so Zebhauser. Für berufstätige Angehörige, die allerdings darauf angewiesen sind, Mutter oder Vater vier bis fünf Mal vorbeizubringen, werde es definitiv ein finanzielles Problem. "Für uns als Pflegedienst ist es für die ambulante Pflege kein gravierender Nachteil. Bei der Verhinderungspflege wird es hingegen schon zu Einbußen führen." 15 Mitarbeiter kümmern sich derzeit bei Zebhauser hier um die Betreuung.

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